Berichtet man, wie ich, von weltweiter Kultur und Events, dann darf man natürlich die Eigene nicht vernachlässigen. Aus diesem Grund hat mich mein Weg ins wunderschöne Kärnten geführt. In der Gemeinde Weitersfeld wird hoch zu Ross dafür gesorgt, dass die Pest nicht wieder ins Dorf kommt. Außerdem wird um die Gunst einer Jungfrau um die Wette gelaufen.
Nach fast 5 Stunden Fahrt durch Serpentinen, schimpfend über das regnerische Wetter und bangend, ob ich noch rechtzeitig eine Tankstelle finden würde, lag sie schließlich in voller Pracht vor mir: Die Marktgemeinde Weitersfeld. Die Begrüßung hätte nicht besser sein können, immerhin spielte die Trachtenkapelle zu meiner Ankunft. Das war zwar nur ein Zufall, aber es war trotzdem schön.
Kurz darauf stand auch schon der erste Programmpunkt am Pfingstsonntag an: Die Aufstellung der Marktfreyung. An alle, die jetzt gerade die Augenbrauen hochziehen: Ich kannte das auch nicht. Es handelt sich um eine Holzstange, auf der ein Arm mit einem Schwert befestigt ist. Außerdem ist auf jeder Seite ein anderes Wappen drauf: Eins vom Kaiser, eins von der Marktgemeinde. Das Aufstellen symbolisiert die Rückkehr zu altem, mittelalterlichen Recht. Zusätzlich geht damit eine Machtübergabe einher: Die Aufgaben des Bürgermeisters werden nun vom Marktrichter erledigt. Zumindest für die Dauer der Feierlichkeiten.


Der Hintergrund zu dem Brauch.
Marktrichter Mag. Erich Foditsch macht diesen Job schon seit 17 Jahren. In einem Gespräch erzählte er mir einige historische Einzelheiten: Die Tradition hat ihren Ursprung im 16. Jahrhundert. Damals war die Pest in Österreich und besonders stark vom „Schwarzen Tod“ betroffen war Weitensfeld und Umgebung. Es überlebten nur ganze vier Personen. Ein Burgfräulein und drei junge Burschen. Es kam, wie es kommen musste: Alle drei wollten bei der Jungfrau landen. Aber so einfach war sie nicht so haben: Die junge Dame vom Schloss Thurn stellte eine Bedingung: Nur der Fitteste kam für sie infrage. Also veranstalteten sie ein Wettrennen. Und dieser Lauf um die Hand der einzig verbliebenen Frau ist der Ursprung des Kranzelreitens.
Am Pfingstsonntag hat die Trachtenkapelle Zweinitz ihren großen Auftritt. Gemeinsam mit den Kranzelreitern gehts erst mal ins Nachbardorf. Dort werden G´stanzln gesungen (man könnte sie auch liebevolle Schmählieder in Mundart nennen) wobei die umliegenden Ortschaften offiziell zum Kranzelreiten eingeladen werden. Nach der Rückkehr werden dann auch vor Ort kurze Lieder über die Einwohner zum besten gegeben. Dabei geht es um lustige oder peinliche Vorfälle, die über das Jahr passiert sind.
Dazwischen wird immer ein kurzes Musikstück gespielt. Laut Kapellmeister Reinhold Kraßnitzer ist das „eine lustige Partie“ – was vielleicht auch zu einem gewissen Grad an der teils hochprozentigen Bewirtung durch die Besungenen liegt. Das sei ihnen auch vergönnt, immerhin spielen sie rund 500-mal zwischen den G´stanzeln.


Pfingstmontag findet die Hauptveranstaltung statt.
Das Kranzelreiten am Pfingstmontag ist nichts für Langschläfer. Punkt acht Uhr wird man erbarmungslos mit Blasmusik aus den Träumen gerissen. Sie gehen dabei quer durch den Ort und lassen die Einwohner so wissen: „Heute ist der große Tag! Raus aus den Federn!“. Der Vormittag ist bestimmt vom Festgottesdienst, Ansprachen durch den Marktrichter und all den Verkäufern, die versuchen, T-Shirts, Gürtel oder auch Vorarlberger Bergkaas an die knapp 5.000 Touristen zu verkaufen. Es ist voll geworden in dem ansonsten beschaulichen 2.000 Seelenort.
Der Marktplatz füllt sich, die Feuerwehrler sind vollauf beschäftigt, die neugierigen Besucher hinter der Absperrung zu halten, und der Marktrichter entrollt stilvoll seine Schriftstücke. In seiner schwarzen Robe mit breitkrempigen Hut verliest er die Anordnungen für die kommenden zwei Stunden. Inzwischen hat sich auch die Sonne ihren Weg zwischen den dunklen Wolken freigekämpft. Die Trachtenmusikkapelle marschiert die Marktstraße entlang, die Lokalpolitiker und anderer Ehrengäste nehmen auf der Tribüne Platz und die Kranzelreiter bringen sich in Position. Nach einem kurzen G´stanzlsingen auf die Landespolitik fällt der Startschuss für die Reiter.
Sie galoppieren drei Mal den ganzen Platz hoch und wieder runter. Damit soll sinnbildlich die Pest vertrieben werden, die die Gemeinde gut 500 Jahre zuvor an den Rand des Aussterbens gebracht hatte. Erzählungen nach wurde der Brauch einmal ausgelassen. In der Nacht darauf stiegen die Pesttoten aus ihren Gräbern und wühlten mit ihren Pferden den ganzen Marktplatz auf. Seitdem ist es nie mehr wieder ausgefallen. Sogar zu Coronazeiten wurde es laut dem Marktrichter veranstaltet. Allerdings, so betont Foditsch, unter strengen Sicherheitsbestimmungen und in kleinem Rahmen.
Nach dem Reiten wird gelaufen.
Nachdem die „Arbeit“ getan ist, holt die Musikkapelle die Läufer vom Gemeindegebäude ab. Die drei Burschen zwischen 18 und 23 Jahren sind ganz in Weiß gekleidet und haben eine rote Schärpe um. Zwei von ihnen setzen auf etwas Unterstützung: Sie haben Glücksbringer dabei. Ob wohl das Schweinchen, das Kreuzarmband oder schlicht Selbstvertrauen am besten wirkt?


Bevor wir es herausfinden, muss die Strecke noch für das Rennen vorbereitet werden. Das machen drei Reiter. Sie repräsentieren jeweils einen Ortsteil der Marktgemeinde: Zweinitz, Altenmarkt und Zammelsberg. Nach dem flotten Scharfritt (und er war wirklich flott!) nehmen die Läufer ihre Position an der Startlinie ein. Und auf Kommando sprinten sie los. Schon nach einer relativ kurzen Distanz hat sich einer der drei einen Vorsprung erlaufen. Nach wenigen schweißtreibenden Minuten und der Absolvierung einer 300 Meter Strecke ist es klar: Gewonnen hat der 18-jährige Gotthard Simon Bacher. Sein Kreuzarmband am Knöchel hat wohl gewirkt.
Ihm wird jetzt die Ehre zuteil, die Jungfrau küssen zu dürfen. Die Statue der jungen Frau steht am unteren Marktplatz, wo auch die Preisverleihung stattfindet. Der Sieger reitet auf dem schnellsten Pferd des Scharfrittes Richtung Denkmal. Links und rechts neben ihm führen seine Kontrahenten das Tier. Glücklich grinsend lässt sich der BORG Maturant von der Menge feiern.
Auch wenn die Leiter schon an der Statue lehnt, erst gibts noch ein paar Preise. Die hängen an der „Pestenstange“ und werden von den Ehrengästen runtergeschnitten und überreicht. Dabei sind unter anderem das Myrtekränzchen, das der Statue vor dem Kuss aufgesetzt wird. Aber auch praktisches wie Socken oder ein Seidentuch wechseln den Besitzer. Die Fotografen gehen in Stellung, denn jetzt ist der große Moment da.
Das Kranzelreiten wird schon fast 460 Jahre gemacht.
Der Brauch hat eine lange Geschichte: Schon seit 1567 wird er regelmäßig durchgeführt. 2016 wurde auch die UNESCO darauf aufmerksam und hat es zum „immateriellen Weltkulturerbe“ ernannt. Damit trotz Besucheransturm alles wie am Schnürchen abläuft, ist einiges an Logistik notwendig. Immerhin müssen die Gäste irgendwo schlafen, ihr Auto abstellen und sie wollen sich auch ab und zu einen Snack gönnen. „Die Vorbereitung für den Brauch dauern knapp ein Jahr “, erklärt Amtsleiter Mag. Christian Lappacher. Eine besondere Herausforderung ist es dabei, abzuschätzen, wie viele Leute kommen werden. „Beim Jubiläums-Trachtenreiten 2022 waren ungefähr 9.000 Touristen da“ erklärt er mit Stolz in der Stimme. Was an diesem Jahr so besonders war? Alle 25 Jahre darf der Gewinner des Wettrennens eine Frau aus Fleisch und Blut küssen. Vor drei Jahren war das die 16-jährige Marie-Sophie Tatschl.
Aber auch wenn Bacher „nur“ mit einer Steinfrau vorliebnehmen nehmen muss, er ist glücklich. Unter Jubelrufen steigt er die Leiter hinauf. In einer Hand hat er das Myrtekränzen, das er der Figur aufsetzt. Er beugt sich vorne über – die Leiter wackelt ein wenig – aber hält. Er gibt der Statue ein Küsschen auf die Wange, aber die Menge will mehr. Sie feuern ihn an, klatschen und jubeln: Jetzt küsst er die Figur auf die Lippen. Das Publikum ist zufrieden. Der junge Mann steigt von der Leiter und wird sofort von Fotografen umrundet. Geduldig nimmt er gemeinsam mit seiner Ehrendame verschiedene Fotoposen ein und beantwortet Fragen. So verrät er auch, dass er nächstes Jahr wieder dabei sein wird: Allerdings hoch zu Ross. Er tritt in die Fußstapfen seines Vaters und wird als Kranzelreiter dabei helfen, die Pest von der Gemeinde fernzuhalten.


Der Tag endet mit einem gut 3-minütigen „Gurktal-Walzer“, den zuerst die Läufer mit ihren Ehrendamen tanzen. Nach kurzer Zeit gesellen sich die Ehrengäste hinzu und schon bald ist der Platz rund um die steinerne Jungfrau von tanzenden Menschen gesäumt. Mit diesem Anblick verlasse ich das malerische Dorf und lasse die Dorfgemeinschaft und Besucher feiern.
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Quellen
Mitteilungsblatt Marktgemeinde Weitensfeld im Gurktal Mai 2025/Nr. 2
Persönliche Gespräche/Interviews mit Marktrichter Prof. Mag. Erich Foditsch,
Amtsleiter Mag. Christian Lattacher,
Simon Gotthard Bacher, 18,
Lukas Germann, 23
Tobias Trampitsch, 18
und Kapellmeister Reinhold Kraßnitzer
Erfahrungen vor Ort am 08. + 09. Juni 2025
Fotocredits: Ingrid Müller
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