Es gibt sie, die „Traumberufe“. Für viele ist Schauspieler einer davon. Man steht ein paar Minuten vor der Kamera, muss vielleicht noch ein paar Tränen vergießen – und schwupps hat man einen fünfstelligen Betrag auf dem Bankkonto. In der Realität sieht das leider ganz anders aus. Eine harte Ausbildung, extremer Konkurrenzdruck und wenn man Pech hat, wird die Szene gekürzt oder sogar rausgeschnitten.
Ana Sofia Cisneros, eine junge Nachwuchsdarstellerin, hat von ihrem Alltag erzählt. Die 24-Jährige lebt in einer kleinen Vorstadt von Mexiko City namens Metepec.
Frau Cisneros, um den Beruf des Schauspielers gibt es viele Mythen. Muss man denn überhaupt eine spezielle Ausbildung haben, um vor die Kamera zu dürfen?
Ja, ich habe ab 2019 die AMDA (= American Musical and Dramatic Academy) vier Jahre lang besucht. Ich war zuerst in New York und bin dann nach Los Angeles gewechselt. Dort habe ich den Bachelor of Performing Arts gemacht.
Das ist beeindruckend. Haben Sie ihre Berufswahl also nur auf Schauspiel ausgelegt?
Die Bezeichnung Künstlerin trifft es wohl eher. Ich bin Schauspielerin, aber auch Sängerin, Tänzerin, ich schreibe Lieder, arbeite ebenfalls als Model, Maskenbildnerin und Gitarristin.
Das ist ein breit gefächertes Repertoires. Wie findet man denn in der Künstlerbranche ein Engagement? Gibt es da spezielle Plattformen, wo Darsteller gesucht werden?
Auf Plattformen wie Instagram finde ich viele Casting-Aufrufe. Aber auch über Freunde im Business. In Los Angeles bin ich auf eine Gruppe namens „Latinas Acting Up“ aufmerksam geworden, wir kommunizieren per Gruppenchat. Man sollte den Künstlern folgen, mit denen man zusammenarbeiten möchte. Ich folge zum Beispiel Cirque de Soleil, Imagine Dragons und Coldplay, da ich im Bereich Konzerte und Shows groß rauskommen will. In Mexiko folgen viele Künstler eine der wichtigsten Produktionsfirma für Theater und Konzerte namens Ocesa. Es gibt auch immer wieder ein offenes Vorsprechen. Hier helfen einem Beziehungen weiter. „Ich weiß, dass du gut arbeitest, also bringe ich dich mit Produzenten, Managern und Regisseuren in Kontakt“ – Also sei immer freundlich!
Wie gehts dann weiter, wenn man weiß, dass die Traumrolle in greifbarer Nähe ist?
Seit der Pandemie wird von den Bewerbern ein kurzes Vorstellungsvideo und Fotos in Nahaufnahme erwartet. Kommt man daraufhin in die nähere Auswahl, geht man persönlich hin. Man sitzt in einem Warteraum. Die Verantwortlichen geben dir eine Nummer und dann machst du dich normalerweise warm. [Tänzer wärmen ihre Muskeln auf und Sänger machen Übungen für die Stimmbänder]. Dann bringen sie dich in einen Raum und bringen dir als Tänzer eine Choreografie bei. Sie dauert zwischen ein paar Sekunden bis zu einer Minute. Anschließend werden alle Anwesenden in kleinere Gruppen (normalerweise fünf Personen) eingeteilt. So wird dann die Choreografie vor dem Casting-Direktor aufgeführt. Sänger treten normalerweise solo auf. Anschließend werden die ausgewählten Darsteller durch Bekanntgabe ihrer Nummern verkündet. Aber auch wenn man eigentlich schon raus ist, bleibt man dort. Denn beim nächsten Aufruf geben sie dir eine andere Choreografie oder manchmal bitten sie dich als Tänzer auch zu singen. Wenn du weiterkommst, versuchen sie mit einem Interview rauszufinden, was für ein Mensch du bist. Ob du auch gut ins Ensemble passen würdest. Wenn du das gut machst und bestehst, unterschreibst du anschließend den Vertrag.
Das Vorstellungsvideo von Frau Cisneros.
Das hört sich ziemlich aufwendig an. Nachdem Sie schon in einigen Stücken mitgespielt haben, wäre interessant zu erfahren, welche Vor- und Nachteile Sie beim Beruf des Künstlers sehen?
Fangen wir mit den Vorteilen an. Ein Autor hat eine Figur geschrieben, und ich liebe es, mich in diese Person zu verwandeln. Ich mache das auf meine eigene Art und Weise, wie es mir Elaine Petricoff und Jason Chaet, meine Schauspiellehrer in New York gelernt haben.
Die Nachteile sind die Jobsuche, die Verletzlichkeit und die ständige Kritik. Wann bekommt man einen richtigen Job? Wann verdienst du genug Geld? Es sind die ständigen Vorsprechen und die Frustration, wenn man abgelehnt wird, die einem zusetzen. Im letzten Jahr habe ich zwischen August und November für sechs oder sieben Projekte vorgesprochen. Ich habe nur einen Rückruf bekommen, bei dem mir gesagt wurde, dass ich zu jung sei. Obwohl die Figur nur etwa 10 Jahre älter war als ich. Sie sagen dir auch, dass du dich nicht mit anderen vergleichen sollst. Aber das ist wirklich schwer. Ich kann mich aufgrund meiner Erfahrungen sehr gut mit Emma Stones´ Charakter in La La Land [Oscar-prämiertes Musical] identifizieren.
Ständige Kritik und kein sicheres Einkommen, das stelle ich mir zermürbend vor. Gibt es einen Plan B?
Ich bin jetzt 24 und arbeite derzeit mehr als Make-up-Artist. Letzte Woche habe ich das Make-up für ein Musikvideo einer Band gemacht, die gerade am Anfang steht. Sie heißen Fortune und bestehen aus vier Jungs. Das hat viel Spaß gemacht. Das ist also momentan mein Plan B. Damit verdiene ich Geld. Für eines meiner letzten Projekte habe ich nur 700 Pesos bekommen, das sind etwa 55 Euro. Dann deutet der Produzent noch an, ich sollte dankbar sein: „Beiß nicht die Hand, die dich füttert.“ [rollt mit den Augen]
Wie anfangs gesagt, der Beruf im Rampenlicht ist für viele ein Traum. Welche falschen Erwartungen haben viele Menschen, wenn es ums Showbusiness geht?
Die meisten wollen Ruhm. Aber nur deswegen und für Anerkennung in diese Branche zu gehen, ist falsch. Darum geht es nicht. Du magst es nicht nur, du liebst es und möchtest es ausleben. Aber zwinge dich nicht zu Dingen, die du nicht tun willst. Ich mag es zum Beispiel nicht, nackt vor der Kamera zu stehen. Dafür gibt es Bodydoubles. Man arbeitet sich langsam, aber kontinuierlich an die Spitze hoch. Was das Thema „Besetzungscouch“ (sexuelle Übergriffe) angeht: Ich bin glücklicherweise in meiner Branche nie sexuell missbraucht worden. Aber ich kenne Freunde, denen das passiert ist. Und das ist nach wie vor ein großes Tabu in der Branche. Auch psychische Gesundheit ist ein wichtiges Thema. Geld macht nicht glücklich. Im Showbusiness gibt es viel Depression. Eines meiner Tattoos hilft mir da sehr: Es symbolisiert, dass ich immer ich selbst bin und bleiben werde.
Wenn man sich von den negativen Aspekten nicht abschrecken lässt, welche Eigenschaften sollte man dann auf jeden Fall mitbringen, um im Showbusiness zu überleben?
Man sollte alles einbringen, was man gut kann. Was auch immer du tun möchtest, tu es. Sei mutig und hab keine Angst, deine Fähigkeiten zu zeigen. Sei nicht schüchtern und zeig dich! Glücklicherweise werden TikTok und die anderen sozialen Medien inzwischen besser kontrolliert. Ich habe in letzter Zeit nicht mehr so viel Hass auf den Plattformen bekommen. Instagram hat das schon blockiert oder schlechte Kommentare gemeldet.
Ich würde noch gerne Ihre beste und ihre schlimmste Erfahrung als Darstellerin hören!
Meine Schlimmste: Ich war auch in einer Produktion namens BEEHIVE. Und die Regisseurin war schrecklich. Sie hatte keine Ahnung, was sie tat. Ich hatte meine Kostüme fertig und sie meinte: Du brauchst eine komplett neue Arbeitsgarderobe. Ich schnappte mir meinen Koffer und verließ die Probe. Als ich zurückkam, sagte sie, sie würde meine Rolle an meine Zweitbesetzung geben. Glücklicherweise waren die Proben aufgezeichnet worden. Nachdem ich mich an den Leiter der Abteilung gewandt hatte, bekam ich meine Rolle zurück.
Mein bestes Stück war die Addams Family im Jahr 2021. Ich durfte Morticia Addams spielen. Ich war 21 und hatte viel Spaß, es war meine erste Hauptrolle. Wir haben uns alles sehr gut verstanden. Das war eine meiner besten Rollen. Wenn ich mich niedergeschlagen fühle, schaue ich mir immer meine Aufzeichnung an. Das muntert mich auf, weil mir klar wird: Das habe ich geschafft.
Ihr Ratschlag an alle, die im Showgeschäft Fuß fassen möchten?
Hab keine Angst, dich zu äußern, wenn etwas nicht in Ordnung ist. Wenn dir etwas Unrechtes angetan wurde, sprich es an. Nur so kann man Ding klären und Missverständnisse ausräumen. Kommunikation ist alles. Außerdem sollte die psychische Gesundheit nicht vernachlässigt werden. Ich möchte hier Dan Reynolds zitieren, [Sänger der US-amerikanischen Band Imagine Dragons und Befürworter von Psychotherapie]: „Gehen Sie zur Therapie, und lassen Sie sich auf Ihrer Reise begleiten“. Ich habe auch meine Haustiere Harry und Lupin, die meine emotionalen Unterstützungstiere sind. Alternativ kann auch ein Plüschtier wie ein Teddybär oder ein Kissen verwendet werden; das hilft sehr. Sprich mit Menschen, mit deinen Freunden, mit deiner Familie. Du bist nicht allein. Mach die Dinge, die du liebst, weil du sie liebst. Ohne Zwang. Du bist zu nichts verpflichtet.
Also nicht zu hart zu sich sein, Selbstliebe und Respekt haben und bei Bedarf Hilfe suchen. Ein schöner Rat. Vielen Dank für die Zeit und den kleinen Einblick ins Showgeschäft!
Viel Erfolg für die Zukunft!
Wenn Sie mehr von Frau Cisneros sehen wollen, können Sie ihr gerne auf Instagram folgen. Ihr Username ist: ana.sofia.cm
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