Willkommen beim Fringe-Festival in Edinburgh! Wo man in den drei Wochen im August mehr erleben kann als irgendwo anders in einem ganzen Jahr.
Es nieselt, als die ersten Artisten gegen neun Uhr in der Innenstadt von Edinburgh eintreffen. Die Temperatur ist mit 18 Grad für die Bewohner der zweitgrößten schottischen Stadt „sommerlich“ – fast ideales Wetter für die Artisten aus allen Teilen der Welt.

Man hat gewisse Vorstellung, wenn man zum „Fransenfestival“, wie das Fringe übersetzt heißt, anreist. Artisten und Straßenmusiker hatte ich erwartet. Aber mit Dracula, der mir blutverschmiert eine handgeschriebene Einladung in seine Gruft überreicht, damit habe ich nicht gerechnet. Genauso wenig mit Frankenstein, der dank ausgeklügelter Mechanik über den Köpfen der Zuschauer zum Leben erwacht ist. Oder mit einem Italiener, der im Tutu aufreizend bei einer Burlesqueshow tanzte. Das Festival ist wie eine Schachtel Pralinen – man weiß nie, was man bekommt.
Das Fringe gibt es schon seit 1947
In diesem Jahr sind es bekannte und unbekannte Künstler aus fast 60 Ländern, die bei mehr als 51.000 Auftritten alles geben. Das Festival, das seine Wurzeln 1947 hat, bietet für jeden Geschmack was. Von klassischen Stadtführungen über Comedy und Gesangsperformances ist alles dabei. Es gibt auch ungewöhnliche Shows, bei denen man plötzlich auf der Bühne steht oder die Gedanken gelesen bekommt.


Wer jetzt denkt, alles spielt sich auf der Straße ab, der hat nicht ganz unrecht. Viele Teilnehmer machen die Passanten durch kurze Auftritte neugierig, um sie so in die richtige Show locken. Denn auch wenn es mehr als 350 verschiedene Gratisshows gibt – für den Großteil der Performances muss man sich Ticket kaufen.
"Es gibt nichts Vergleichbares ..."
„Das Edinburgh Fringe ist so besonders, weil es nichts Vergleichbares irgendwo anders auf der Welt gibt. Unsere Vision ist es, jedermann eine Bühne und jedem einen Sitzplatz zu bieten und wir sind bestrebt, das Fringe zu einem Platz von Inklusion, Freiheit sich auszudrücken und Freude zu machen“, sagte Shone McCarthy, Geschäftsführerin der Fringe Festival Gesellschaft, auf deren Website.
Es ist eine unwirkliche Kulisse: Historische, wunderschöne Häuser, schmale, etwas dubios wirkende Gässchen und plötzlich zack … drückt einem ein Darsteller im Roboterkostüm einen Flyer in die Hand. Man bahnt sich den Weg zwischen Unmengen von Touristen, die mithilfe ihrer Handys die ungewöhnlichen Szenen für die Daheimgebliebenen festhalten wollen. Während man noch versucht, dem Mann im Kilt auszuweichen (sie haben wirklich nichts drunter!), muss man aufpassen, nicht plötzlich zu einem Darsteller in einem Impro-Stück zu werden. Es ist echt viel los auf den Straßen von Edinburgh. Auch wenn es schade ist, dass ich dem jungen Dudelsackspieler nicht mehr Aufmerksamkeit schenken kann – ich muss zum nächsten Event, das etwa vier Straßen weiter stattfindet. Zeit ist in diesem Fall nicht Geld, sondern ein guter Sitzplatz. Denn Platzreservierungen gibt es hier nicht.
Das Besondere beim Fringe ist, dass jeder als Darsteller mitmachen kann. Es gibt kein Komitee, bei dem man sein Können vorstellen muss: Jeder ist hier willkommen. Das Festival ist seit 1968 eine registrierte Wohltätigkeitsorganisation, die „einfach nur Menschen unterstützen möchte, ihre künstlerische Ader auszuleben“.

Und genau das ist seit 1 April 2024 etwas schwieriger geworden. Das schottische Parlament hat ein neues „Anti-Hass-Gesetz“ verabschiedet. Danach wird das Aufwiegeln und Verbreiten von Haßrede bezüglich Alter, Behinderung, Religion und verschiedene sexuelle Orientierungen unter Strafe gestellt. Was insbesondere bei Stand Up Auftritten problematisch werden dürfte. Immerhin sind doch Parodien das Salz in jeder Comedysuppe.
Haben Comedians jetzt ein Problem?
„Um eines Hassverbrechens angeklagt werden zu können, muss man schon „ sehr drohende und sehr verletzend handeln und es muss es berechtigte Beschuldigung von anderen erfolgen“ sagt Ms. Brown, Ministerin für öffentliche Sicherheit und Opferschutz in einem Artikel von BBC vom 1. April 2024.
Und sie scheint recht zu haben, immerhin haben die Comedians bei den Vorführungen, die ich besucht habe, kein Blatt vor den Mund genommen. Zur Show des russischen Komikers, der mit seinem ukrainischen Partner gegen elf Uhr abends auftrat, hab ich es leider nicht mehr geschafft. Nächstes Jahr dann.
Quellen:
Homepage des Edinburgh Fringe Festival (www.edfringe.com)
Edinburgh Festival Fringe 2024 (www.edinburghfestivalcity.com)
Edinburgh Free Festival (www.freefestival.co.uk)
BBC Seite über das Hate-Law vom April 2024 (www.bbc.com/news/uk.scotland-68703684
Copyright für die Bilder: Ingrid Müller
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