Ein Mitarbeiter von Ärzte ohne Grenzen betreibt Aufklärungsarbeit. Er hat ein Megaphon in der Hand und zeigt den Einheimischen auf einer Tafel Bilder von erkrankten Hautstellen. Die interessierten Menschen sitzen um ihn herum auf Bänken. Der Raum sieht sehr provisorisch aus. Der Boden ist ein Asphaltboden ohne Belag.

Ein Einblick in die Arbeit von Ärzte ohne Grenzen

Ärzte ohne Grenzen ist vor Ort, wenn es brennt. Sei es in Gaza, der Ukraine oder in anderen Gebieten, wo Menschen dringend auf medizinische Hilfe angewiesen sind. Die Organisation ist in über 70 Ländern weltweit im Einsatz. Oft reagiert Ärzte ohne Grenzen innerhalb weniger Stunden auf neue Krisenherde und ist eine der ersten Hilfsorganisationen vor Ort. Aber was macht Ärzte ohne Grenzen genau und wie läuft die Hilfe ab? 

Die Idee zur Gründung der Hilfsorganisation entstand schon Ende der 1960er-Jahre. Einige Ärzte waren so entsetzt vom Leiden der Menschen im Bürgerkrieg in Biafra (Nigeria), dass sie etwas unternehmen mussten. Es fiel ihnen immer schwerer, sich an das Schweigegebot der Organisationen zu halten, mit denen sie im Einsatz waren. Gegründet wurde die Organisation dann 1971 von zwölf Ärzten und Journalisten in Paris unter dem Namen Médicins Sans Frontières (MSF). Ihr erklärtes Ziel war es, rasch und unbürokratisch medizinische Hilfe zu leisten und gleichzeitig öffentlich Position zu beziehen, wenn es die Ereignisse erforderlich machen. Dabei sollte die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit stärker auf die Situation der Betroffenen gelenkt werden.

Heute sind knapp 70.000 Menschen rund um den Globus für die Organisation tätig. Seit 30 Jahren gibt es Ärzte ohne Grenzen auch in Österreich. Seither sind etwa 850 Einsatzkräfte aus Österreich und Zentraleuropa – davon mehr als 280 Ärzt:Innen – über das österreichische Büro auf über 2.900 Hilfseinsätze entandt worden. 

Julia Leitner ist eine davon. Die 38-jährige diplomierte Krankenpflegerin aus Salzburg ist seit einigen Jahren in verschiedenen Ländern im Einsatz. Aktuell ist sie als Nursing Activity Managerin in der Demokratischen Republik Kongo.

Julia Leitner sitzt mit zwei Patienten auf einer Matte. Neben ihr sieht man das MSF Poster. Die Patienten sitzen auf einer Türkisfarbenen Matte, ihre Schuhe stehen neben ihnen. Frau Leitern trägt eine helle Blue Jean und ein Ärzte ohne Grenzen Shirt. Sie trägt beigefarbene Schuhe und eine Maske. Die zwei weiteren Personen auf dem Bild sind dunkelhäutig. Der links neben Frau Leitner sitzende hat ein helles, offenes Hemd an, darunter trägt er ein Lila Shirt. Auf der anderen Seite sitzt eine Frau, ebenfalls dunkelhäutig, mit Blumenrock und dunkelblaun Shirt
"Man muss sich bewusst sein, dass sich die Lage teilweise sehr schnell ändern kann." Auf dem Foto: Patient, Leitner und Krankenschwester (von l. nach r.)

Wie sind Sie zu Ärzte ohne Grenzen gekommen?

Leitner: Seit ich meine Ausbildung gemacht habe, war mir klar, dass ich irgendwann einmal ins Ausland gehen will. Nachdem ich einige Monate für eine österreichische NGO in Kamerun war und mein Französisch aufgebessert hatte, habe ich mich bei Ärzte ohne Grenzen beworben. Meine Familie war anfangs etwas skeptisch, aber je öfter ich unterwegs war, umso mehr haben sie es akzeptiert. Da es fast überall WLAN gibt, ist es relativ einfach, Kontakt mit zu Hause zu halten.

Nach dem Aufnahmeverfahren wird man in einen Pool, also in eine Liste potenzieller Helfer:innen aufgenommen. Natürlich ist es kein Problem, für einige Zeit auszusetzen, wenn man zwischendrin andere Pläne wie etwa ein Studium hat. Man gibt einfach Bescheid, wenn man wieder verfügbar ist. Ein möglicher neuer Einsatz beginnt dann ganz unspektakulär mit einer E-Mail aus dem Wiener Büro von Ärzte ohne Grenzen. Darin findet man einen Vorschlag für einen möglichen Einsatz. Man kann zusagen, oder aber auch ohne Begründung ablehnen. Wenn man zugestimmt hat, hat man zwischen einer und mehreren Wochen Zeit für die Vorbereitungen.

Spielen wir es einmal kurz durch: Sie bekommen einen Vorschlag, nehmen ihn an und zwei Wochen später müssen Sie zum Beispiel in Kamerun sein. Wie gehts dann weiter?

Leitner: Man wird vom Flughafen abgeholt, dann kommt man in ein Headquarter. Das ist meist ein Büro in der Hauptstadt, dort hat man erst ein mehrtägiges Briefing. Bei dieser Einschulung erhält man Informationen zur Sicherheitslage und nähere Details über das Projekt. Dann gehts weiter zum Einsatzort, wo man genauere Infos zum Ziel der Mission und den Aufgaben vor Ort bekommt. Und dann kann man loslegen.

Kann man sagen, es gibt bei regulären Einsätzen einen gewissen Tagesablauf, der immer konstant bleibt?

Leitner: Es gibt durchaus eine bestimmte Struktur. Je nach Projekt gibt es natürlich Unterschiede, aber prinzipiell ist der Ablauf nicht anders als bei uns in Österreich. Es gibt eine Visite, Teambesprechungen und bestimmte, routinemäßige Abläufe. Selbstverständlich ist es anders, wenn ein Notfall eintritt oder etwas Unvorhergesehenes passiert. Aber das kommt nicht täglich vor.

Ärzte ohne Grenzen leistet medizinische Hilfe in Konfliktsituationen, bei Naturkatastrophen, Epidemien oder auch bei mangelhafter Gesundheitsversorgung in Krisengebieten. Zehntausende Helfer:innen aus dem medizinischen, logistischen und administrativen Bereich unterstützen dabei. Dabei handeln sie alle nach den Prinzipien der Unabhängigkeit, Neutralität und sind unparteiisch. Die NGO hilft allen und geht dafür auch in Konfliktgebiete. 

Gab es für Sie schon Situationen, die brenzlig waren?

Leitner: Direkt in einer akut gefährlichen Situation war ich nie. Aber man muss sich bewusst sein, dass sich die Lage teilweise sehr schnell ändern kann. Wir haben sehr gute Security Briefings, wenn wir am Einsatzort ankommen und die Sicherheitslage wird ständig beobachtet und neu bewertet. 

Wäre da nicht manchmal Polizeischutz angebracht?

Leitner: Ärzte ohne Grenzen ist generell gegen den Einsatz von Waffen. Wir sind nie mit Eskorte unterwegs, haben jedoch auf dem Auto einen Aufkleber, der signalisiert, dass wir keine Waffen dabeihaben. Jede:r vor Ort weiß, dass wir nicht bewaffnet sind. Wir sind nicht politisch, wir sind unabhängig und neutral. Unsere Einsätze würden sonst nicht funktionieren. Das ist auch ein gewisser Schutz. 

Ärzte ohne Grenzen ist eine durch Spenden finanzierte, selbstbestimmte Hilfsorganisation. 2023 umfasste die Bewegung mehr als 69.000 Mitarbeiter aus mehr als 160 Ländern. Wie viele Leute sind so durchschnittlich an einem Einsatz beteiligt?

Leitner: Das ist ganz unterschiedlich. Es gibt aber immer bestimmte Rollen: Projektkoordination, Logistik, Finanzen und Personalwesen. Und dann natürlich das medizinische Personal. Wenn es die Situation vor Ort erfordert, holen wir uns auch psychologische Fachkräfte oder durchaus auch Handwerker:innen dazu.

Eine Blockhütte, vor der mehrere Helfer mit Werkzeug einen Brunnen für Wasser bohren. Einer der Mitarbeiter hat ein MSF Shirt an. Hinter der Hütte sieht man einige Bäume hervorblicken.
Ärzte ohne Grenzen hilft nicht ausschließlich in medizinischen Notfällen. Es wird auch bei der Bereitstellung von Wasser geholfen.

Ärzte ohne Grenzen ist in erster Linie auf medizinische Hilfe ausgerichtet. Die Patient:innen kommen immer zuerst. In vielen Fällen stellt die Organisation auch die notwendige Grundversorgung bereit. Diese umfasst die Bereitstellung von Nahrungsmitteln, Trinkwasser, sanitären Einrichtungen und auch Decken, Matratzen oder Notunterkünfte. Für die Finanzierung sorgen ca. 7,3 Millionen Einzelspender weltweit. Durch sie werden 98 % der Einnahmen generiert. Von den Spenden werden auch Projekte finanziert, die über medizinische Nothilfe hinausgehen. Die „Access Campaign“ hat etwa zum Ziel, Medikamente für alle verfügbar zu machen, unabhängig von der jeweiligen finanziellen Situation. „Medizin sollte kein Luxusgut sein“ lautet das Motto der Kampagne.

Frau Leitner, Sie waren schon im Sudan, Haiti, Mali und in der Zentralafrikanischen Republik. Dort haben Sie wahrscheinlich viel Schlimmes gesehen. Ich möchte jedoch Ihr schönstes Erlebnis vor Ort erfahren. 

Leitner (nach kurzer Denkpause): Spontan fallen mir gleich zwei ein: Es ist immer ein tolles Erlebnis, wenn man spürt, dass das vermittelte Wissen wirklich ankommt. Ich habe ein Training zu Schmerztherapie abgehalten und dann kam Wochen später ein Teilnehmer auf mich zu und meinte: „Ja, jetzt habe ich verstanden, was du gemeint hast! Und wir haben das jetzt genauso umgesetzt.“ Das war so ein richtiges „YESSSS“-Erlebnis für mich. Es ist einfach toll, wenn man eine Verbesserung der Situation sieht. 

Ein anderes Erlebnis war der Fall eines Patienten mit sehr großflächigen, starken Verbrennungen. Das Team führte mit meiner Unterstützung den Verbandwechsel durch. Diese zweistündige Prozedur war für mehr als zwei Monate täglich notwendig. Danach alle zwei Tage. Das Risiko für Infektionen bei Verbrennung ist sehr groß. Dazu kam, dass das Krankenhaus, in dem die Therapie stattfand, aus Zelten bestand. Nach etwa vier Monaten konnten wir gemeinsam die Behandlung abschließen. Dem Patienten geht es gut und er kann wieder ein normales Leben führen. Das ist ein sehr gutes Beispiel, dass man mit viel Geduld, Hingabe und auch mit begrenzten materiellen Mitteln etwas bewirken kann.

Ein schöner Schlusssatz. Vielen Dank für Ihre Zeit und dieses aufschlussreiche Interview! 

Quellen:

Homepage von Ärzte ohne Grenzen

Link für nähere Info zur Access Campaign

Zoom Interview im Dezember 2024 mit Frau Julia Leitner


Fotocopyright:

Ärzte ohne Grenzen 

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