Ein trüber Dezembernachmittag, es ist grau in grau. Mit etwas gemischten Gefühlen mache ich mich auf den Weg zu meinem Termin in Wien. All diese Kommentare nagen dann doch etwas an mir. Ob die Schnecken wirklich spritzen, wenn man drauf beißt?


Andreas Gugumuck ist Österreichs einziger hauptberuflicher Schneckenzüchter. Er bittet mich in den ersten Stock seines Hauses, um mir einige Fragen zu beantworten. Zwischen leeren Weinbergschneckenhäusern und Fachbüchern über das Kochen mit Schnecken unterhalten wir uns.
Von der IT zur Schnecke
Gugumuck hat einen außergewöhnlichen Karriereweg gewählt. Nach Wirtschaftsinformatikstudium und einem Jahrzehnt in der IT Branche hat ein simpler Zeitungsartikel sein Interesse an Schnecken geweckt. 2007 stolperte er über einen Beitrag zur Zubereitung der Delikatessen. Die Ausführungen des Haubenkochs Christian Petz haben ihn fasziniert. „Durch Eigenrecherche habe ich herausgefunden, dass Wien früher die weltweite Schneckenmetropole war. Dann kamen die Franzosen auf den Geschmack und Paris wurde zur neuen Hauptstadt der Escargot.“ Dort ist der Genuss von Schnecken Alltag und die kleinen Tierchen ein fixer Bestandteil der Speisekarten.
„Ich spielte direkt nach dem Lesen des Beitrags mit dem Gedanken, eine Schneckenzucht zu beginnen. Nägel mit Köpfen habe ich dann 2008 gemacht und erst mal im Nebenerwerb mit 20.000 Mutterschnecken begonnen.“ Für die Grundkenntnisse hat er sich dabei an Betrieben in Italien und Frankreich orientiert. Von da ab ging es langsam, aber stetig aufwärts. Die ersten Bestellungen von Haubenköchen kamen und aus dem Nebengewerbe wurde dann 2010 eine hauptberufliche Tätigkeit.
Gugumuck ist sehr ambitioniert
2013 begann er mit einer ungewöhnlichen Marketingkampagne: Er zog ein Schneckenfestival auf. Das Event fand jedoch nicht auf seinem Hof statt. Nein, er arbeitete dafür mit Haubenköchen zusammen. Für eine Woche war die Weinbergschnecke der Star auf deren Speisekarten. Gugumuck war es leid gewesen, ständig zu hören „Ich habe leider keine Gäste, die Schnecken bestellen“ und dass, nachdem sie ihn erst für die Qualität und den Geschmack seines Produktes gelobt hatten. Das einwöchige Festival sollte die Gäste neugierig machen und die Hemmschwelle senken.
Das gleiche Ziel verfolgte der Unternehmer auch bei Events wie dem Genussfestival. „Wir haben die Schnecken im Speckmantel eingewickelt und gegrillt. Im Endeffekt hätten wir auch Datteln einwickeln können, das wäre auch egal gewesen“, schmunzelt er. So haben auch etwas voreingenommene Gäste das erste Mal Schnecken probiert. Das erinnert mich ein wenig an einen Hund, den man die Tablette in einem Stück Leberkäse unterjubelt. Aber die Strategie war erfolgreich.
Es ging aufwärts - langsam
Das Interesse an den Schnecken stieg nach all den Werbemaßnahmen. Die aus Frankreich importierten Tiere wurden gehegt, gepflegt und geschlachtet (ja, auch bei Schnecken heißt das so), Kurz gesagt: das Geschäft florierte. Beigetragen dazu hat ebenfalls die Idee, ein mehrgängiges Schneckenmenü anzubieten. „Damals waren es fünf Gänge. Ich erinnere mich, etwas skeptisch gewesen zu sein: Wer um Himmelswillen isst fünf Gänge Schnecken?“ Eine Menge Leute, wie sich rausstellte. Gugumuck war immer ausreserviert.
Dann kam Covid. Der Züchter rasselte durch sämtliche von der Regierung bereitgestellten Fördertöpfe, verlor einen Kunden nach dem anderen. Doch statt in Verzweiflung zu versinken, krempelte er die Ärmel hoch und eröffnete ein eigenes Etablissement. Die eigene Gartenbar schlug voll ein. 2020 war das Lokal eines der besten Farm-To-Table Restaurants in Wien. Neben Schnecken wurde auch selbst gezogenes Bio-Gemüse verarbeitet. Mit 3.000 Quadratmeter Anbaufläche lässt sich da schon einiges machen. Nachdem die Gäste Speisen wie etwa „Snails & Chips“ auf dem Teller hatten, hatten sie die Möglichkeit, ein „Gemüsesackerl“ zu erwerben. Auf diese Art konnten sie die „Ernte der Woche“ – garantiert ohne Schnecken – mit nach Hause nehmen. Frisch und nachhaltig.

Erntezeit
Seine Weinbergschnecken bekommen nur bestes Bio-Futter. Mangold, Raps, Senf, Klee sogar Karotten und anderes Gemüse der Saison stehen auf dem Speiseplan. Rundum glückliche Schnecken – bis zur Erntesaison. „Wir haben eine Sommerernte, die startet im Juli und ab Oktober/November kommt die zweite Etappe.“ Eingesammelt werden die jene Tiere, die bereits geschlechtsreif sind. „Das erkennt man am ausgebildeten Rand und ihr Haus wird dann hart. Während sie noch wachsen, ist das Schneckenhaus butterweich.“ Die Tiere im Teenageralter verbringen den Winter im Keller und kommen dann im nächsten Jahr im April wieder raus.
Nach dem Einsammeln werden sie eine Woche „entlüftet“. In dieser Zeit scheiden sie alles aus, „was keine Miete zahlt“ und fallen dann in einen tiefen Schlaf. In dieser Trockenstarre werden sie dann in kochendes Wasser gegeben und sterben schmerzlos innerhalb von Sekunden. Nach der Weiterverarbeitung landen sie dann zum Beispiel als „Gratinierte Schnecken mit einer Parmesan-Rosmarin-Butter“ auf dem Teller. Gugumucks Lieblingsrezept.


Der Mann, der selbst erst mit Dreißig das erste Mal Escargot gegessen hat, hat auch Süßspeisen auf der Karte. Lust auf Malakoff-Eis mit Schnecken oder einem leckeren Kaiserschmarrn? Völlig ohne Rosinen, aber dafür mit den kleinen Weichtieren. „Es ist kaum ein Lebensmittel, das vielfältiger zuzubereiten ist als die Schnecke“, sagt er dazu mit einem gewissen Stolz in der Stimme.
Zukunftsvisionen
Er hat ein wahres Imperium geschaffen: Onlineshop, Catering, Festivals mit Schnecken, ein eigenes Lokal. Da stellt sich die Frage: Wie gehts weiter? Die Antwort hat mich etwas überrascht. Nachdem Gugumuck eines der am schwierigsten zu verkaufenden Produkte erfolgreich vermarktet hat, hat er nun ein neues Projekt im Auge: Stadtplanung.
„Ich suche mir immer Projekte, die für manch andere unmöglich sind“, erklärt mir der Geschäftsmann mit einem selbstbewussten Lächeln. Der Mann liebt Herausforderungen. Er blickt gedankenverloren aus dem Fenster seines Hofes. „Alles, was wir da draußen sehen, wird bald die nächste Seestadt sein.“
"Essbare Stadt"
Die Stadt Wien plant eine neue Stadt vor den Toren von Wien mit Platz für 21.000 Menschen. Gugumuck möchte mit Projekten wie Marktgärtnereien und essbarer Wildnis hier eine „essbare Stadt“ schaffen. Eine Referenz hierzu gibt es schon auf seinem Hof. „Ich möchte der Stadt Wien so verdeutlichen, dass wir nicht von Landwirtschaft in der Stadt reden “, erklärt der Schneckenzüchter. Es würden keine Mähdrescher oder ähnliches herumfahren. „Diese Gärtnereien können so viele Positives bewirken. Sie bieten Vorteile für die Ernährung, aber auch für das soziale Leben. Bio-Diversität ist ein weiterer wichtiger Punkt.“
Gugumuck hat einen Bürger:innenrat installiert, der gerade mit der Leitbilderstellung beschäftigt ist. „Wir versuchen jetzt aktiv einen internationalen Referenzstandort zu schaffen“, erklärt der 50-jährige. Der Landwirt hat bereits ein Netzwerk mit Hamburg und Berlin zum Erfahrungsaustausch aufgebaut. „Ab 2026 beginnt die Widmungsphase. Wir können nur dann auch weiter landwirtschaftlich arbeiten, wenn unser Bereich dementsprechend gewidmet wird.“ Es stellt sich die Frage, ob Wien ein internationaler Vorzeigestandort sein möchte. „Für die Umsetzung einer essbaren Stadt braucht es nun das Engagement von ganz oben“, erläutert Gugumuck, der als einziger Landwirt der Gegend sein Land nicht verkauft hat.
Nachtrag:
Nach dem Interview habe ich übrigens tatsächlich die Weinbergschnecken probiert. Ich kann jeden beruhigen: Da spritzt gar nix! Der Geschmack und die Konsistenz erinnern ein wenig an angebratene Champignons.
Quellen:
Gespräch mit Andreas Gugumuck
Copyright für Fotos: Ingrid Müller
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