Eine unwirkliche Gegend, das Foto ist in Brauntönen gehalten. Man sieht einen bewölkten Himmel und eine verlassene, unasphaltierte Straße. Seitlich stehen Strommasten und einige Bäume.

Das etwas andere Musikvideo von Imagine Dragons

„Erneute Bombardierung eines Krankenhauses in Charkiw“, „Weitere Kämpfe in Grenzgebiet“, „Größter Drohnenangriff auf Ukraine seit Kriegsbeginn“ Man ist schon richtig abgestumpft von der Flut solcher Meldungen. Und dann sieht man im TV einen ukrainischen Jungen. Mit versteinerter Miene und traurigem Blick steht er vor den Überresten seines Hauses. Die Kamera macht einen Schwenk und zeigt Raketen, die einfach so im Boden stecken. Sie haben ihre tödliche Mission nicht erfüllt, sind nicht hochgegangen. Wer jetzt denkt, es handelt sich um einen Spendenaufruf für die Ukraine, der irrt. Es ist ein Musikvideo.

Odessa, Anfang 2023. Ein Mann mit Baseballkappe lädt gerade die letzten Hilfsgüter auf die Transportfläche eines Wagens. „Lebensmittel, Fackeln, Wasseraufbereiter,… Wo sind die Kettensägen, Igor?“ Ty Arnold ist im Stress. Er möchte die Sachen schnellstmöglich in ein kleines Dorf in der Nähe von Cherson bringen. Die Anwohner von Novohryhorivka brauchen die Hilfsgüter nach einem Bombenangriff schnellstmöglich. Die Fahrt dorthin stellt eine Herausforderung für die Nerven dar. Immerhin sind jederzeit neue Angriffe möglich. Endlich angekommen, bietet sich dem Team ein Bild der Zerstörung. Das Dorf war bei den Attacken fast dem Erdboden gleich gemacht worden. Der ganze Ort wirkte verlassen und nahezu gespenstisch still. Bis auf diesen einen Jungen. Der Teenager wandert ganz alleine durch die Ruinen seines Dorfes. Arnold greift zur Kamera. Nicht ahnend, dass diese Bilder von mehr als sieben Millionen Menschen gesehen werden würden.

Die US-amerikanische Band Imagine Dragons hat mit „Crushed“ der Schrecken des Krieges ein Gesicht gegeben. Die Musiker aus Las Vegas, Nevada sind mit Hits wie „Believer“, „Radioactive“ oder „Enemy“ sehr erfolgreich. Weniger bekannt ist, dass sie die Hilfsorganisation des ukrainischen Präsidenten Volodymyr Zelenskyy aktiv unterstützen. Im Juli 2022 wurden sie offiziell Botschafter seines Wohltätigkeitsprojektes United24. Als ihr Freund Ty Arnold im Zuge eines Hilfsprojektes in der Ukraine war, baten Sie ihn, ein Musikvideo zu drehen. Eines, das die Grausamkeit und die Auswirkungen des Krieges bestmöglich zeigt.

Videodreh rückwärts: Erst das Material, dann die Anfrage.

Arnold war schon wieder fast auf dem Weg nach Hause, als er von dem Auftrag erfuhr. „Ich war gerade dabei, die Ukraine zu verlassen. Während meines Trips habe ich nur gefilmt, um Dinge zu filmen. Ich hatte kein Filmmaterial, das für ein Musikvideo gedacht war “, erzählt Arnold bei einem Zoom Interview. Bei Durchsicht seiner Aufnahmen stolpert er über die Szenen, die er mit dem damals 14-Jährigen gedreht hat. Sashko, der gemeinsam mit seiner Mutter in einem der zerstörten Häuser wohnte, hatte Arnold das Dorf und die Umgebung gezeigt. Ein gefährliches Unterfangen. „Man musste sehr vorsichtig sein, wo man hintrat, weil es immer noch Minen gab, die nicht explodiert waren. Auch nicht detonierte kleine Streubomben lagen auf dem Boden.“ 

Die Band mit Sascha, dem jungen aus dem Video. Sie hatten eine Flagge von U24.
Sashko mit der Band Imagine Dragons und einer Flagge von U24.
Ein junge steht neben einer nicht explodierten Rakete. Sie steckt in einem Acker. Der Junge trägt dunkle Kleidung und eine Mütze. Er steht neben dem Acker auf einer Grünfläche.
Nicht alle Raketen sind beim Einschlag explodiert.

Der Kameramann folgte dem introvertierten Jungen auf Schritt und Tritt. Er nahm an, Sashko kenne die Gegend gut genug, um mögliche Gefahren zu erkennen. Dieses Vertrauen zahlte sich aus. Arnold sah Chaos, Zerstörung und auch die Hoffnungslosigkeit in den Augen des Jungen. Und er konnte all das auf Film festhalten. Mit diesem Material würde er ein passendes Musikvideo erstellen können, da war sich der Filmemacher nach Begutachtung seiner Aufnahmen sicher. Aber erst musste er noch mal zurück, um Sashko und seine Mutter von dem Vorhaben zu informieren.

Wird Sashko und seine Mutter zustimmen?

Igor Shcherbyna, Arnolds Freund, fungierte als Dolmetscher, als der Kameramann versuchte, den beiden Ukrainern die Pläne zu erläutern. „Und ich habe ihnen erklärt, dass es in Ordnung ist, wenn sie das nicht machen wollen. Aber sie mussten verstehen, dass es sich um eine wirklich große Band handelt und viele Leute das sehen werden “, sagt Arnold. Nach seinen Ausführungen stimmten beide dem Musikvideo zu. Für den in sich gekehrten Jungen stellte diese Zusage einen großen Sprung über seinen Schatten dar. Aber er sah es als seinen Beitrag, die Heimat zu unterstützen. 

Zwei Männer im Auto, das Bild ist Schwarz Weiss. Sie wirken angespannt. Der rechtssitzende hat einen drei Tage Bart, eine Mütze auf und eine Hoodie an. Von der zweiten Person sieht man nur einen Auschnitt.
Der Kameramann und sein Team auf dem Weg in Sashkos Dorf.

Die Welt sollte sehen, was ihrem Dorf passiert war. Mutter und Sohn hatten bei dem Angriff einige Wochen zuvor Schlimmes durchgemacht. „Sie mussten sich unterirdisch in einem Bunker verstecken, während die Russen praktisch über ihnen waren. Sashko hatte mir den kleinen Keller gezeigt, in dem sie ausgeharrt haben. Sie versteckten sich dort mit ein paar anderen Nachbarn fast einen Monat lang, bis sie fliehen konnten. Sie haben es aber alle überstanden “, schildert Arnold die Situation.

Auswirkungen des Videos

Als das Musikvideo zu „Crushed“ am 10. Mai 2023 veröffentlich wurde, schlug es hohe Wellen. Neben der Weltpresse waren selbstverständlich die ukrainischen Medien äußerst interessiert an dem Video. „Ich weiß nicht, ob den beiden klar war, wie groß das Ganze werden würde. Jeder hat Sashko in den Nachrichten gesehen “, fasst Arnold zusammen. Er selbst war natürlich auch von Interesse – und das nicht nur für die Medien. Der Kameramann war gerade bei Soldaten an der Ostfront, als er eine Nachricht von United24 erhielt. Er solle so schnell wie möglich nach Kiew zurückkommen, da wollten einige Leute mit ihm reden. 

Das einer davon der ukrainische Präsident Zelenskyy war, ahnte er nicht. „Das hatte ich nicht erwartet. Ganz und gar nicht. Ich bin ein introvertierter Mensch, ich bin gerne hinter der Kamera. Es war für mich ein Schock, dass mich Präsident Zelenskyy treffen wollte“, erzählt Arnold noch immer ein wenig fassungslos im Videochat. „Er hat sich unsere Geschichten angehört. Er war einfach freundlich, so ein offener, netter Mensch.“ Inzwischen hat er das Staatsoberhaupt noch einmal getroffen. Die zweite Begegnung war bei einer United24-Sonderpräsentation gemeinsam mit dem Hauptdarsteller des Videos, Sashko.

Ty Arnold bei seiner Rede in der Ukraine. Er trägt ein Baseballcap, hat ein Mikro in der Hand und ein weißes T Shirt an. Eine Sonnenbrille hängt an seinem Halsausschnitt.
Ty Arnold nutzt alle Möglichkeiten, das Leid in der Ukraine aufzuzeigen

Überraschung!

In gewisser Weise hat die Geschichte von Sashko und seiner Mutter ein Happy End. United24 und die Ladenkette „Aurora“ haben gemeinsam die Ärmel hochgekrempelt und das durch Raketen zerstörte Haus wieder aufgebaut! Auf Nachfrage hatten der Teenager und seine Mutter betont, dass sie im Dorf bleiben wollen. Ihr neues Heim wurde daher an der Stelle des ursprünglichen Hauses wieder aufgebaut. Arnold, der mit seinem Filmmaterial den Stein ins Rollen gebracht hatte, hatte die Ehre, die Schlüssel zu überreichen.

Imagine Dragons in einem Videochat bei der Schlüsselübergabe an Sashko (Dezember 2023):

„Hey, Sascha! Hier sind Imagine Dragons. Wir sind unglaublich stolz auf dich. Du hast uns inspiriert, du hast tausende Leute auf der ganzen Welt inspiriert. Danke an all die großartigen Spender, die das ermöglicht haben. Und vor allem, Sascha, willkommen zuhause.“

Auch lange nach Ende der Dreharbeiten hat Arnold den Jungen nicht aus den Augen verloren. „Ich kontaktiere Sascha hin und wieder. Es geht ihnen immer noch gut, das Haus ist noch da. Das Gute ist, dass das Dorf im Moment in einer relativ sicheren Lage ist. Es gibt keinen Grund für die Russen, es zu bombardieren, da es dort eigentlich nichts von Interesse gibt. Das Haus ist also sicher und noch wichtiger: Sashko und seine Mutter sind in Sicherheit.“

Aber nicht nur für Sashko hat sich durch den Videodreh das Leben verändert. „Ich war seit dem Musikvideo viele Male wieder dort und habe eine gemeinnützige Organisation gegründet. Wir suchen Familien, die nahe der Front leben. Wenn sie dort gefangen sind und keine finanziellen Mittel haben, kaufen wir für sie in der sicheren Westukraine ein Haus und bringen sie dann dorthin. Es ist die schönste und befriedigendste Erfahrung, diesen Familien zu helfen. Familien wie der von Sashko.“

Wenn Sie die Organisation von Ty Arnold unterstützen wollen:

Für nähere Information und Spenden für United24:

Quellenangaben:

Interview mit dem Kameramann des Musikvideos Ty Arnold  am 21. Mai 2025 (Zoom Videochat)

Informationen von United24

Zitat von der Band Imagine Dragons

 

Photocredits: Ty Arnold

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