Der Wind pfiff unbarmherzig um meine Ohren, während ich noch versuchte, das wackelige Gefühl unter meinen Füßen loszuwerden. Der Boden schien alles andere als stabil. Mehr als zwölf Stunden auf einer Fähre mit drei Meter hohen Wellen fordern nun mal ihren Tribut. Da stand ich nun etwas verloren, am Hafen der schottischen Kleinstadt Lerwick.
Da war es wieder: „AYYYYYYYYY!!“. Obwohl ich sehr wohl ihren Schrei hörte, sehen konnte ich sie (noch) nicht. Also machte ich mich auf die Suche nach den Wikingern. Ja, richtig gelesen. Der Grund für meinen Besuch auf Shetland Island war das nordische Seefahrervolk. Um genau zu sein: das jährlich stattfindende „Up-Helly-Aa“ Wikinger Festival.
Die in etwa 7.500 Bewohner von Lerwick nehmen das Event sehr ernst. Sie beginnen fast ein Jahr im Vorfeld mit den Vorbereitungen. Um bei den Feierlichkeiten überhaupt mitmachen zu dürfen, muss man mindestens fünf Jahre Einwohner der Shetland Inseln sein. Die Organisation der Feier wird von einem gewählten 17-köpfigen Komitee („Guizers“) übernommen. Um zum Chef dieses Komitees (Guizer Jarl) gewählt werden zu können, muss man erst ganze 16 Jahre Mitglied des Guizers gewesen sein. Ja, das Up-Helly-Aa ist streng organisiert.
Organisation wird hier groß geschrieben: Die „Up Helly Aa“ Teilnehmer haben einen Zeitplan, nach dem sie sich genau orientieren. Sie besuchen in Lerwick neben einiger Veranstaltungsorte auch Krankenhäuser und das Shetland Museum. Dabei werden die Wikinger teilweise von einer Marschkapelle oder auch Dudelsackmusik begleitet.
Dank genau dieser lauten Dudelsackmusik und des akribischen Terminplans bin ich einigen Teilnehmer schon um neun Uhr morgens in einem Einkaufszentrum über den Weg gelaufen. Alles in allem sind es in diesem Jahr 981 Teilnehmer, die Lerwick für einen Tag zur Wikingerhauptstadt machen. Ehrlich gesagt war ich zuerst ein wenig eingeschüchtert. Da stand ich mit meiner beeindruckenden Körpergröße von 1,60 Meter inmitten von Typen mit Stahlhelmen, in Rüstungen mit Schildern und Äxten, die um einiges größer waren als ich. Die imposanten Männer waren sehr offen und erzählten mir in ihrem unverkennbaren schottischen Dialekt, dass sie einen langen Tagen vor sich haben. „Vor frühestens 11 Uhr Vormittag morgen kommen die wenigsten ins Bett“, erklärt mir der 38-jährige Rupert.


Während sich die Squad bei einem ausgiebigen Frühstück für den Tag stärkt, wird der Star des diesjährigen Festivals fertiggemacht: Eine eigens gebaute Galeere mit dem Namen „Byssen“.. Am späten Vormittag wird es unter dem Gejohle der Wikinger und der Jugendlichengruppe „Junior Guizer Jarl´s Squad“ Richtung Hafen geschoben, um das diesjährige Up Helly Aa mit Fotos für die Nachwelt zu dokumentieren.
Es steht unglaublich viel Arbeit hinter dem Festival. Neben der handgefertigten Galeere müssen die Kostüme fertiggemacht werden und für das größe Finale am Abend werden ganze 864 Fackeln benötigt. All das machen die Einwohner und Komiteemitglieder in ihrer Freizeit selbst. Dabei sind sie auf Spenden angewiesen, die teilweise von lokalen Geschäftsleuten kommen oder auch vom Komitee selbst.


Die Wurzeln des Festivals lassen sich nicht auf ein spezifisches Jahr festlegen. Während es gegen 1870 schon Prozessionen mit Fackeln durch Lerwick gab, gibt es eine Verbindung zu Wikingern erst ab den Ersten Weltkrieg herum. Über die Jahre wuchs das Festival und dessen Bekanntheit. Schließlich fielen im Jahr 2023 die Geschlechtseinschränkungen und weibliche Wikinger sind nun auch ein wichtiger Teil des Up Helly Aa.


Nachdem die Teilnehmer den ganzen Tag durch die Straßen gezogen sind, geht es gegen sieben Uhr abends auf das große Finale zu. Die Straßenbeleuchtung wird ausgemacht und die Fackeln sind die einzige Lichtquelle bei der Prozession durch die Stadt. Das Highlight ist dann die Verbrennung des extra angefertigten Schiffs. Wenn zu Wikingerzeiten ein Schiffskommandant starb, wurde der mit seiner Galeere begraben. Allerdings macht es natürlich mehr her, wenn das Schiff in Flammen aufgeht, erklärt mir ein Mitarbeiter des Shetland Museums in Lerwick. Es muss auch etwas fürs Auge der Besucher dabei sein. Verständlich. Nach der Verbrennung wurde dann in geschlossener Gesellschaft ausgiebig weitergefeiert. Und vielleicht sogar schon Pläne für das Up Helly Aa 2026 gemacht.
Darüber kann ich nur spekulieren, denn zu der Zeit war ich schon wieder auf meinem Lieblingstransportmittel: Der Fähre. Mitgenommen habe ich viele schöne Eindrücke und die Erkenntnis, dass ich nächstes Jahr wieder kommen werde. Allein schon, um die Schiffsverbrennung selbst mitzuerleben.
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Für mehr Bilder von der schottischen Insel, bitte:
Quellen:
Gespräche mit Mitgliedern der Squad
Interviews mit Einwohnern von Lerwick und Touristen
Gespräch mit einem Mitarbeiter des Shetland Museum and Archiv
Pressemitteilung des Up Helly Aa 2025
Official Programme 2025
Fotos:
Alle Bilder wurden mit dem Einverständnis der fotografierten Personen gemacht und veröffentlicht.
Eigentümer der Fotos: Ingrid Müller
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